23
Feb
2009

Suppenessgeräuschzeichen

R. erwähnte beim Abendessen eine Anime-Serie über das Leben eines älteren Ehepaars, die sie als Kind gern gesehen hat. Das Detail, was ihr einfiel, waren die Geräusche beim Schlürfen der Misosuppe: shapushapushapushapu... - Man habe hören können, dass es eine sehr dünne Suppe gewesen sei. Dass die beiden arm waren.

22
Feb
2009

Keine Rache #1

(Ich werde im Sommer-Semester ein Seminar zum Thema "Rache" machen und habe mir vorgenommen, zur Vorbereitung Situationen aufzuzeichnen, in denen ich mich rächen möchte - es aber, vermutlich, nicht tue.)

Eine sehr banale, in der Großstadt fast unvermeidliche Situation: Gestern Nacht wurde in der Wohnung über unserer eine Party gefeiert. Bis nach zwei Uhr lief laute Musik, dazu Stimmen, Lachen, Gepolter. Ich habe gegen diese Nachbarn schon seit längerem eine Abneigung, und der Ärger über die Lärmbelästigung ließ all das wieder hochkochen. (Es wäre wahrscheinlich lohnend, die Motive zu analysieren, die in dieser Abneigung verflochten sind: Sowieso sind sie laut - es gibt kleine Kinder, die herumtoben, aber auch einen 15jährigen Jungen, der eine dumpf polternde Art hat, was ich ihm umso mehr übel nehme, weil er gegen mein Bild des zarten sensiblen Jungen verstößt, gewissermaßen das Ideal seines Alters beleidigt. Dazu strahlt E., die Mutter und/oder Adoptivmutter - ich kenne die Verhältnisse nicht genau, obwohl wir schon Jahre zusammen wohnen und das hier eine Hausgemeinschaft ist - eine Mischung von Freundlichkeit und Feindseligkeit aus, mit der ich nichts anfangen kann. Einmal, als sie mit R. zusammen im Treppenhaus steht und mich nach E. fragt, die in New York ist, antworte ich nicht bündig, erkläre etwas umständlich, und sie rollt genervt die Augen, wendet sich ab. Es gibt wahrscheinlich mehrere Zwischenfälle wie diesen - jener klein, für sich unbedeutend, als Sache vergessen, emotional jedoch nicht...)

Ich bin nicht gesund und nach einem anstrengenden Arbeitstag trotz Erkältung, Magenproblemen, einem Zahn, der nach dem Zahnarztbesuch beim Draufbeißen schlimmer wehtut als vorher (eine weitere Quelle von Ärger und Frustration), sehr erschöpft. Ich will früh schlafen. Aber bei dem Lärm ist es unmöglich. R., weniger geräuschempfindlich beim Einschlafen, hat sich hinten ins Bett gelegt. Ich liege vorn, lese, kann mich kaum konzentrieren, die Zeilen verschwimmen vor den Augen. Oben die Bässe und das Schlagzeug dämlicher Heavy Metal-Musik. Zudem stellt immer wieder jemand leise, dann wieder jemand ganz laut, jemand drückt einen anderen Song, jemand wieder zurück... Ich habe Kopfschmerzen. Ich hole mir den Rechner aufs Bett, chatte mit zwei Bekannten, die zum Glück online sind, schaue nebenbei Pornos, hole mir irgendwann einen runter. Schließlich greife ich das Kopfkissen und die Decke, schlucke zwei Paracetamol, schlurfe nach hinten, zwänge mich neben R. in das für Zwei (jedenfalls für uns) eigentlich zu enge Bett.

Was ich an dieser Situation noch mehr hasse als die Belästigung selbst, ist, dass sie mich dazu zwingt, das Hinnehmen zu wählen: Ich könnte ja hoch gehen und um Ruhe bitten. Ich könnte hoch gehen und mich beschweren. Ich könnte die Bullen rufen und für Ruhe sorgen lassen. Aber die Vorstellung, das zu tun (derjenige zu sein, der das tut), ist mir so widerwärtig, dass ich eher leide. Und mich über mich selbst ärgern muss, weil ich so bin. Doppelte Gewalt also: mich nötigen, den Lärm ihres Vergnügens anzuhören - und meine Hilflosigkeit auszunutzen (wenn die da oben vermutlich nicht einmal bemerken, dass es sich beim Ausbleiben der Beschwerde um Hilflosigkeit handelt, macht das die Gewalt nur roher). Das Mindestmaß an Rücksicht, sage ich mir, wäre gewesen, uns vorher Bescheid zu sagen, dass es an diesem Abend laut wird. Vorweg um Entschuldigung zu bitten. Zu zeigen, dass einem die Mitmenschen nicht egal sind.

Meine Rachephantasien haben es in dieser Situation schwer, sich überhaupt zu bilden, da die Übermacht der anderen so deutlich ist. Der Hass bleibt kraftlos. Das Einzige, was mir einfällt: morgens früh um sieben meinerseits die Musik auf maximale Lautstärke zu drehen und den Jungen (dessen Zimmer offenbar direkt über meinem liegt) nach vier Stunden aus dem Schlaf reißen. Ich stelle mir vor, wie ich die Balkonfenster öffne, damit es noch lauter für ihn wird, und bei schmerzhaft plärrender Anlage die Tür schließe, nach hinten ins Bad gehe, dusche - nein, noch besser, ein Morgenbad nehme (朝風呂 - im Japanischen gibt es dafür einen eigenen Ausdruck, da es sich um einen besonderen Genuss handelt). Während mein Körper im heißen Wasser schließlich entspannt, spürt er, wie es ist, am Schlafen gehindert zu werden.

Aber natürlich müsste ich dafür selber um sieben Uhr aufstehen. Und wahrscheinlich macht einem robusten Fünfzehnjährigen eine schlaflose Nacht viel weniger aus als mir. Und es würde die Stimmung weiter verschlechtern, am Ende wären sie sicher die Lauteren usw. Kurz - ich tue es nicht. Im Seminar wird es zuerst darum gehen, warum Rache 'bei uns' (wer sind 'wir'?) in der Regel nicht ausgeführt wird. Umso bemerkenswerter die Ausnahmefälle, in denen sie es doch wird.

21
Feb
2009

Japan: ein Fauxpas / eine Erkenntnis

Ein Professor aus Tokyo schickte mir vor Kurzem eine Email, in deren Betreff-Zeile "entschuldigungn und frage" stand. Darin teilte er mir mit, er denke, dass er mich im Oktober zu einem Vortrag einladen könne, wisse es aber noch nicht sicher, da der Forschungsverbund, in dem er arbeitet, über die Pläne für 2009 noch nicht entschieden habe. Er entschuldigte sich für sein "langes Schweigen" und dafür, auch jetzt noch immer keine definitiven Informationen zu haben.

Mir fielen die Kleinschreibung und der Tippfehler im Titel auf, und ich wunderte mich vor allem über das erstere: Die Nachricht selbst war normal geschrieben. Hatte er (ein schon etwas älterer und eher konservativer Herr) es mal mit der anarchisch bequemen Variante probieren wollen, die in der Generation Online verbreitet ist - und sich dann doch vorsichtig auf den Titel beschränkt? Oder war es schlicht Fahrlässigkeit wie der Fehler auch?

Eben kam mir jedoch etwas wieder in den Sinn, was ich selber einmal in einem Buch als Zeugnis für den durchweg sozialen Charakter der Schrift in Japan angeführt hatte: Aus Höflichkeit schrieb man früher Kondolenzkarten mit blasser, verdünnter Tusche, um zu zeigen, wie überraschend und bestürzend die Nachricht vom Tod gekommen sei. (Die 'Botschaft' lautet: Ich hatte keine Zeit, die Tusche sorgfältig anzureiben, deshalb ist sie dünn - wobei man sie selbstverständlich sorgfältig und in Ruhe verdünnt.)

Und im Reflex dieser Erinnerung lesen sich die Fehler im Betreff der Email auf einmal wie eine absichtsvolle Entstellung, die mir höflich die Entschuldigung kommuniziert: Ich bin hier so in verlegener Eile, so hilflos ausgesetzt zwischen Früher und Später, da ich Ihnen endlich schreiben muss und doch noch immer nichts zu sagen habe - dass mir diese Unaufmerksamkeiten unterlaufen!

Und ich habe die Email natürlich einfach mit Klick auf den Return-Button beantwortet, so dass die Zeichen der Zerknirschung ihres Senders dort nun immer noch stehen. Habe ihm seine Entschuldigung zurückgeschickt! Dabei streicht man in Japan sogar das höfliche 御 vor den Feldern beim Ausfüllen eines Formulars.

Und vollkommen wird dieser Fauxpas - nicht mein erster und wohl kaum mein letzter - dadurch, dass das alles vielleicht bloß meiner Einbildung entspringt. Japan, das ist mein Phantasma. Ein aus meinen Unaufmerksamkeiten zusammengesetztes System.

19
Feb
2009

Blutfleck und -linie

Als ich ins Bad komme, ist R. gerade vom Klo aufgestanden und zieht sich die Unterhose hoch (sie zieht sie immer sehr hoch, aber in diesen Tagen besonders). Sie macht lachend Platz. Am vorderen Rand der Toilettenschüssel hängt ein Bausch Papier mit einem roten Fleck in der Mitte. Dahinter zieht sich Blut in einer schmalen Spur bis hinunter ins Wasser.

Ich pinkle das alles weg.

15
Feb
2009

Pop // Literatur

R. muss für ihr Doktorandenkolloquium Tellkamps Der Turm lesen. Die Schwarte kam gestern und liegt nun auf dem Küchentisch. Ich habe kurz reingeschaut, die ersten Sätze gelesen. Den Prolog sofort übersprungen, aber auch vom Anfang der Geschichte bin ich nicht einmal bis zum Ende der ersten Seite gekommen. Es ist furchtbar. Warum? Wie in so vielen "anspruchsvolleren" Romanen, die in Deutschland in den letzten Jahren Erfolg hatten, scheint auch in diesem die gesamte literarische Moderne geradezu ausgemerzt. Henry James, Virgina Woolf, F. Scott Fitzgerald, Gertrude Stein, Joyce, Beckett, der Nouveau Roman... - alle die Experimente, die man im 20. Jahrhundert unternommen hat, um neue Formen des Erzählens zu erfinden und unser Verständnis dessen, was erzählen heißt, zu erweitern, sind in dieser zeitgenössischen deutschen Literatur aggressiv vergessen. Und selbst Schnitzler, Kafka, Musil, Bachmann, Aichinger, Johnson oder Thomas Bernhard tauchen höchstens als Stil- und Weltanschauungszitat auf, nie als diejenigen, die dieses sämige, in seine Behäbigkeit verliebte, in einem ewigen 19. Jahrhundert wie auf einer Mittelmeerkreuzfahrt eingeschiffte Erzählen beendet haben. Wie dankbar wäre ich für eines dieser Enden.

Unter denen, die ich kenne, sind die Autoren, die modernes Erzählen heute weiter verfolgen und weiter zu entwickeln versuchen, hauptsächlich Amerikaner: Dennis Cooper, Gary Lutz, Tao Lin (selbst ein Bestsellerautor wie Bret Easton Ellis hat mit einem Roman wie Less Than Zero etwas für die Kunst des Erzählens getan). Dabei fällt mir beim Lesen ihrer Texte ewas auf, was mir meine Abneigung gegen die deutsche "Popliteratur" der 90er Jahre in Erinnerung ruft und noch einmal neu plausibel macht: Was und wie diese Autoren schreiben, profitiert in hohem Maße von der Popmusik. Aber im Gegensatz zu Stuckrad-Barre, Kracht oder Hennig von Lange, die mit Pop lediglich eine dumpfe selbstgenügsame Coolness verbanden, knüpfen sie an Popkultur gerade dort an, wo diese ihrerseits die aktuelle Fortführung der ästhetischen Moderne ist. Coopers Romane etwa verdanken viel den Songs und Lyrics von Guided by Voices oder Pavement: die extrem dichte, hochradig fragmentierte Kleinstform, die "fucked-upness" als ästhetisches Prinzip, das Gespür für die Idiomatik des amerikanischen Englisch in ihrer zuweilen virtuosen Primitivität. Lutz nennt in einem Interview eine Liste von Songs, die ihm etwas bedeuten - darunter "Haligh, Haligh, a Lie, Haligh" von Bright Eyes, und mir wird klar, wie seine idiosynkratische Präzisierung sprachlicher Wendungen an gewisse schmerzlich-pointierte Zeilen von Conor Oberst anschließt. Pop und Literatur unterhalten in dieser amerikanischen Independent-Literatur eine ungemein fruchtbare und dabei sehr subtile Beziehung.

Man wünscht sich, der Musikgeschmack deutscher Autoren wäre besser - sie hätten mal die Einstürzenden Neubauten, Cpt. Kirk& oder wenigstens die frühen Blumfeld gehört und begriffen, dass Pop nicht behaupten muss, "richtige Kunst" zu sein, um an ästhetischer Auseinandersetzung teilzunehmen. Dass er etwas ganzes anderes sein kann als Abfall für alle.

11
Feb
2009

Der Anfang...wovon?

Meine Schande bestand darin, dass ich dem Handtaschenräuber ein Bein stellte. Der Moderator der Lokalnachrichten bezeichnete mich am selben Abend als "mutigen Bürger". Es geschah am Rand eines Parkplatzes. Ich besitze nicht einmal einen Wagen.

...

9
Feb
2009

Generationswechsel

R.'s jüngerer Bruder und seine Frau, auf deren Hochzeit in Nagoya wir im vorletzten Jahr waren, kriegen ein Kind. Zugleich kam aus dem kleinen Dorf, wo R.'s Eltern leben, die Nachricht, dass ihr Vater an Nierensteinen leidet. Er braucht derzeit ein kleines Röhrchen zum Pinkeln, das alle zwei Monate gewechselt werden muss, und danach ist es jedes Mal eine Zeitlang unangenehm (weshalb wir unseren Besuch im April ein paar Tage verschoben haben, weil dann wieder so ein Wechsel ansteht).

Schön ist die Geschichte, die R. daraus macht: Während "der Teil" des Vaters versagt, erweise sich der des Sohnes als tüchtig. Generationswechsel.

4
Feb
2009

Unglücklich verliebt in ein reizloses Mädchen

M. ist unglücklich in ein Mädchen aus seiner Klasse verliebt. Vor einiger Zeit war er allein mit ihr (bei ihr, bei ihm), und es ist offenbar zu dem gekommen, was die BRAVO Petting nennt. Er bei ihr. Er sei leider nicht auf seine Kosten gekommen, schreibt er. Doch sie ist nicht in ihn verliebt. Wehrt seine Anträge mit einem "Ach M., was soll das denn..." ab, einer unmissverständlichen Formel des Desinteresses, die er auch wirklich versteht. Aber es hilft nichts.

Am letzten Wochenende hat er auf einer Party ein anderes Mädchen kennen gelernt. Sie ist zwei Jahre jünger als er, dreizehn - ein gewaltiger Abstand. "Wir haben keine gemeinsamen Interessen", schreibt er. Und entscheidet sich für die andere, die ihn nicht will. Es scheint ihm schlecht damit zu gehen. Er weiß auch nicht, was an ihr ist. Schickt ein Foto. "Sie spielt gerade übertriebene Überraschung für eine Foto Love Story à la BRAVO."

Hinter der Hand, die sie an den Mund schlägt, wirkt das Stück von ihrem offenen Mund, als müsse sie ein Gähnen unterdrücken. Die Augen und die Nase haben etwas Froschhaftes. Das Haar, die Farbe irgendetwas zwischen Blond und Braun, hängt dünn und glatt an den breiten Schläfen herab. Ein dickes grünes Tuch und ein unförmiger Wintermantel verdecken den Rest. Es war kalt an dem Tag.

Wenn ich jemals ein reizloses Mädchen gesehen habe, dann dieses. Aber meine erste Freundin? Ist die erste Liebe nicht noch zufälliger und in ihrem Zufall wirklich nichtssagender als alle späteren? (Es sei denn, man wartet lange mit dem Verlieben und die Welt lässt das zu.) Ist das einzig Folgerichtige an ihr nicht, dass sie passiert?

Ein Detail, das er in seiner ersten Beschreibung erwähnt hat, war ihr Geruch. Das verstehe ich wiederum gut. Das erste Mädchen, das man riecht, verfügt über eine magische Kraft.
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